Weit und breit sind noch keine anderen Mitreisenden zu sehen, als ich morgens kurz vor neun den Hurtigruten-Anleger Kirkenes erreiche und das Einlaufen „meines Schiffes“ verfolgen kann: Von Geisterhand öffnen sich nach dem Verzurren der Nordkapp die Luken. Die erste Person, die von Bord kommt und mich mit einem strahlenden „Hei, god morgen“ begrüßt, ist Reiseleiter Johan Pearson. Er ist nicht nur die gute Laune in Person, sondern auf dieser Tour Ansprechpartner für alle Passagierfragen, Koordinator, Vermittler und Einweiser. Während meine Mitreisenden auf der südgehenden Tour mit den Hurtigruten gegen Mittag an Bord des 1996 gebauten Traditionsschiffes gehen, unternehme ich mit den bisherigen Gästen den Ausflug zur russischen Grenze.
Das ist der Vorteil der „Postschiff“-Reise – man kann täglich an einem der 34 Häfen seine Reise beginnen und diese individuell zusammenstellen. So starte ich also am Wendepunkt der von Bergen–Kirkenes–Bergen verlaufenden Tour. Outdoor-Erlebnisse, Natur pur, Kontakt mit Land und Leuten erwarten mich auf der bevorstehenden sechstägigen Fahrt – und ein völlig anderes „Kreuzfahrt-Konzept“.
Der Besuch des Schneehotels, verbunden mit dem Husky-Abenteuer in Form einer Schlittenfahrt, wäre ein genialer Start meiner Reise durch die Jahreszeiten entlang der norwegischen Küste gewesen, doch leider war es dafür in den letzten Tagen zu warm. Der Alternativausflug ist nur ein schwacher Ersatz: Nach dem Besuch der Grenzstation Storskog zwischen Norwegen und Russland sowie der Bergbaustadt Bjørnevatn fällt aufgrund des diesigen Wetters der Besuch des Långfjords aus. Der russische Markt, der jeden letzten Donnerstag im Monat in Kirkenes stattfindet, hat sich ebenfalls im Regen aufgelöst, sodass uns neben dem Blick vom Berg Prestfjellet auf Kirkenes nur ein Gang durch die Anders-Grotte, einen 400 Meter langen, in den Fels gesprengten Tunnel zwischen Stadtzentrum und Hafen, bleibt.
Wieder am Schiff angekommen, teilt sich die Gruppe: Ein Teil der Reisenden tritt den Weg zum Flughafen an, während die Übrigen sich mit mir auf die mehr als 2400 Kilometer lange Stecke, entlang der abwechslungsreichen Küste Norwegens, mit der Nordkapp dem Frühling entgegen von Kirkenes nach Bergen begeben. Das Einschiffen verläuft schnell und reibungslos, da alle Passagierdaten von der Buchung in Deutschland im Bord-Softwareprogramm vorliegen. Darüber hinaus will man den Passagieren das Konsumieren an Bord erleichtern: Wer beim Einchecken seine Kreditkartendaten einlesen lässt, kann während des Aufenthalts alles mit der Kabinenkarte zahlen, erhält bei jedem Verzehr seine Quittung und am Ende eine Sammelrechnung. Da Sicherheit und Hygiene großgeschrieben werden, gibt der Reiseleiter in den vier Sprachen an Bord (Norwegisch, Englisch, Deutsch und Französisch) eine Einweisung zu täglichen Abläufen beim Ein- und Auschecken in den Häfen sowie zum Verhalten in Notsituationen. Nach einer Demonstration, wie man den Rettungsanzug und die Rettungswesten korrekt anlegt, ist das Mittagessen im Restaurant „Nessekongen“ angesagt. Hier verwöhnen uns Küchenchef Halvar Dahl und sein siebenköpfiges Team mit kulinarischen Genüssen in Buffetform. „Wir bieten jeden Mittag jeweils ein Fleisch-, Fisch- und vegetarisches Gericht an neben einer Auswahl von sechs bis sieben Salaten, kalten Speisen, einer Tagessuppe und drei Desserts samt einem Kuchen“, erklärt der erfahrene Koch, der seit 1978 mit den Hurtigrutenschiffen unterwegs ist und nun genau vier Jahre das Küchenregiment an Bord der Nordkapp führt. Er weiß, was seine Gäste wollen: „Die deutschen Gäste essen viel Fisch, besonders sämtliche Variationen mit Königskrabbenfleisch.“
Auf Deck 5 wartet eine Außenkabine seeseitig und nahe dem Auslaufdeck auf mich – ruhig gelegen, um nicht von An- und Ablegegeräuschen gestört zu werden, und ideal, um schnell nach draußen zu kommen und schöne Naturaufnahmen machen zu können. Wie das Bettsofa ist auch die Tür in Türkis (auf jedem Deck zur besseren Orientierung anders gestaltet) gehalten, ansonsten dominieren in der praktisch, aber eher spartanisch eingerichteten Kabine mit Dusche, WC und Fußbodenheizung, Fön und Telefon Grau- und Beigetöne. Über das Radio mit Infokanal sind Reiseinformationen und Ankündigungen des Reiseleiters zu hören. Zudem gibt es kostenlos nutzbares WLAN.
Vardø ist der nächste Hafen, an dem unser Schiff eine Stunde festmacht. Genug Zeit, um die östlichste Stadt Norwegens mit der 1738 erbauten Vardøhus-Festung zu besuchen. Wieder an Bord, wartet schon der nächste Programmpunkt im Außenbereich von Deck 7: Christoph Hupe (Leiter der Kongsfjord International Scuba School) und Ida Kallevik (arktische Meeresbiologin) haben diverse Pflanzen und Lebewesen aus dem arktischen Meer mitgebracht – wie Tangpflanze, Drachenkopf und arktische Koralle – und schildern anschaulich Lebensräume und Lebensweisen. Die Veranstaltung ist Teil des saisonalen Bordprogramms „Arctic Awakening“, das auf die Naturerlebnisse einstimmen soll. Entertainment mit Quiz, Bühnenshows und Darbietungen gibt es auf den Hurtigruten nicht. Das Bordleben zeichnet sich vielmehr durch Entspannung, regionale Besonderheiten und Naturbeobachtungen aus. Letztere genießt man am besten in der Panorama-Lounge „Polarsirkelen“.